Zwischen Hochsommer und Regenfront liegt der Urlaubsauftakt: der Vorabend meiner Abreise führt mich spontan zum Wörthsee im oberbayerischen Fünfseenland. Es ist unglaublich, wie viel der näheren Umgebung Münchens ich immer noch nicht richtig kenne, da kann ich noch viele Wochenenden Urlaub mit 45 min. Anreise machen, um mir alles anzueignen… Jetzt, im August, ist jedoch der Aufbruch weit nach Nordwesten geplant, zuvor aber ist ein Schlenker über Münchens Südwesten dran.
Nach dem ersten Sommergewitterguss liegt der unerwartet große See dampfend im Abendlicht. Als wir von einem der idyllischen Holzstege aus über die Gänse und das Wasser blicken, ist der Reiz unwiderstehlich: komm, wir springen rein! Der Zufall will, dass im Auto ein Handtuch liegt und die Gefahr von Klamottenklau ist angesichts vereinzelter Hunde-Spaziergänger gering, also rein ins grüne Nass. Das Wasser ist mild wie flüssiges Gold und nach Wochen des Hochsommers angenehm warm. Jenseits von Trubel, Kiosk und Sonnenhungrigen gehört uns das Wasser fast alleine, nur ein einsamer Schwan sschwimmt langsam zum seichten Ufer.
Am nächsten Tag bekommt auch Hector seine Thalassokur, der Reisetag steht ganz im Zeichen des Sommerregens. 10 Stunden Fahrt sind Zeit genug für philosophische Fragestellungen: Wie schaffen es die Autos mit den gelben Nummernschildern, trotz tiefenentspannter Fahrweise und Tempo 80 große Entfernungen zu überwinden? Ich werde wohl zum Herkunftsland reisen müssen, um der Sache auf den Grund zu gehen…

Marktplatz Brügge
Nach einem Zwischenstopp in Neuss geht es schnurstracks nach Westen: zunächst führt die Fahrt nach Belgien, ein kurzer Münzwurf später entscheidet: Brügge statt Gent! Das Wetter kann sich nicht entscheiden, das ist für den hohen Norden (aus Münchner Perspektive) wahrscheinlich schon ein Erfolg. Mit Schirm, Charme und Kamera geht es also in die Altstadt von Brügge und ich bin positiv überrascht: der alte Stadtkern ist groß, größer als erwartet. Die Touristenmengen übrigens auch.

Starte ich zunächst in einem entspannten Park, so stehe ich kurz darauf in den Gassen und sehe vor lauter Leuten kaum die hübschen Häuser. Zum Glück sind die sehenswerten Gebäude in der Überzahl, das ein oder andere erhascht der Blick dann doch… Ich lasse mich treiben, von niedrigen Häuserreihen zu imposanten Bauwerken, von denen es eine beeindruckende Anzahl auf engem Raum gibt.

Spezialitäten der Region: hübsche Häuser und Bier
Belgien, genauer: Brügge strotzt nur so vor Spezialitäten: Bier in unzähligen Sorten und mit einem Museum, das bei genauerem Hinsehen ein Shop ist (Exit through the gift shop). Außerdem Waffeln in allen Variationen.
Muscheln natürlich. Und Nougat, Schokolade und Pralinen.
Vor allem aber: Belgische Frites mit Mayonnaise! Bei all dem angebotenen Touristennepp und überteuerten Restaurants ist die Wahl einer belebten Pommesbude vermutlich die beste. Für 2,95€ gibt es die mittlere Portionsgröße inkl. Sauce und mit etwas Glück einen Sitzplatz im wuseligen Gastraum. Doppelt frittiert werden die Goldstäbchen hierzulande, so dass man sich prima die Tschunge daran verbrennen kann…
Natürlich gibt es auch Hochkultur, Museen und Kirchen.
Nur wenige Stunden nach Ankunft ist mein natürlicher Orientierungssinn den gebogenen Straßen und Gässchen zum Opfer gefallen. Wie gut, dass ich geistesgegenwärtig das Navi in den Rucksack geworfen habe, so dass ich jetzt etwas lächerlich, aber doch sicher wieder zurück zum Bus finde. So viel Schlausinn wird belohnt mit dem Blick auf die erste Windmühle dieser Reise – fühlt sich fast schon nach Holland an!
Zwischen Brügge und meinem heutigen Ziel liegen nur wenige Kilometer und das übliche Navi-Bingo: TomTom und ich sind uns regelmäßig uneinig über die Güte (Breite, Traglast, Höhe) der ausgewählten Straßen, aber früher oder später kommen wir beide ans Ziel. Das ist in diesem Fall Strandcamping Groede, wo ein Bekannter gerade seinen 3-wöchigen Strandurlaub begonnen hat. Seit unserer letzten Begegnung sind 12 oder 15 Jahre vergangen und ich bin einigermaßen erleichtert, als er mir seine Stellplatznummer durchfunkt – wer weiß, ob ich ihn in freier Wildbahn wiedererkannt hätte? Vorher muss ich aber unbedingt noch was wichtiges erledigen: ab ans Meer!
Direkt am Meer hört der leichte Nieselregen auf und geht in Gischt über, der kalte Wind sorgt zudem dafür, dass sich das Meer an den Füßen regelrecht warm anfühlt. So viel Sommer ist fast zu viel des Guten, so dass ich mir ein Glas Rosé als Welkom-Drink im Strandhaus „Puur“ genehmige.

Am späteren Nachmittag suche ich dann zwei Reihen neben Hector den Familienwohnwagen von Markus auf. Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen: er sieht genau so aus wie früher und das Willkommen ist herzlich. Und kulinarisch erfreulich: ob ich nicht mit zu Abend essen will…? Klar, warum nicht. Nach Stadtbesichtigung und Fahrt habe ich wenig Lust, selbst die Küche anzuwerfen, und so lande ich im wetterfesten Vorzelt und werde verwöhnt. Dorade vom Grill, Zucchinigemüse und goldene Kartoffeln, das ist deutlich mehr als meine Campingküche zu bieten gehabt hätte!

Ein Foto VOR Verschlingen der köstlichen Dorade wäre beeindruckender gewesen. Aber so schnell ist eben keine Kamera
Es ist eben wichtig, sich auf einem fremden Campingplatz gleich richtig zu orientieren und das beste Versorgungszelt ausfindig zu machen.
Der nächste Tag bringt blauen Himmel mit jagenden Wölkchen und das Klapprad darf mit ans Meer. Auf dem Deich, der meerseitig in Dünenlandschaft übergeht, zieht sich über zig Kilometer ein Radweg entlang.
Am Strand selbst ist es zwar hochsaison-typisch wuselig, aber bei so viel Sand und Meer bleibt genug Raum für jeden. Außerdem gibt es jede Menge zu entdecken: schicke Designer-Häuschen direkt am Meer, weiße Strandzeug-Buden, Strandhäuser mit adäquater Bewirtung und: die Allianz-Arena.
Neben dem Radweg verläuft auf dem Deich ein Spazierweg aus Muschelkalk, der sich malerisch durch die Dünen zieht. Genau richtig für eine kleine Joggingrunde, schließlich habe ich jetzt Urlaub und somit Zeit!

Urlaub, Faulenzen und so
Am Nachmittag merke ich dann, dass Urlaub auch ganz schön anstrengend ist, das muss wohl an der vielen Meeresluft liegen. So ein Bus-Sofa ist auch gar zu verlockend für ein kurzes Nickerchen, und so trete ich später ein wenig zerknautscht in das bewährte Versorgungszelt. Erneut werde ich umfänglich und wohlschmeckend bekocht und bin nach 1kg Garnelen gestärkt für den oranje-Party-Abend in der Strandbar hinter’m Deich. Fest in holländischer Hand mit belgischem Bier und lautstarker Musik wird hier regelmäßig gefeiert und es liegt wohl an meiner fehlenden Sprachkenntnis, dass ich manche Rituale nicht verstehe. Dessen ungeachtet findet sich zu später Stunde eine Ansammlung junger Männer auf dem Boden der Tanzfläche ein, die im Takt der Musik rudern. Einer trägt einen Helm, zwei tragen Tierkostüme, einer sieht normal aus und einer trägt einen Neoprenanzug. Echt, nächstes Mal mache ich vorher einen Kultur- und Sprachkurs!
Der nächste Morgen ist geprägt vom Konjunktiv: DAS wäre gestern eine gute Idee gewesen… Ich weiß noch, dass gegen 2:00 Uhr ein fantastischer Sternenhimmel zu sehen war, und dann war es auch schon halb zehn und das Aufstehen ging irgendwie zäh vonstatten. Das Wetter passt sich an und hält sich mit allzu heißer Sonne zurück, aber für einen Ausflug zum Leuchtturm und nach Breskens ist das gerade recht.
Breskens selbst ist unaufgeregt, aber praktisch: unter anderem gibt es einen großen Camping-Zubehör-Shop und ich finde prompt Ersatz für die abgefallene Steckdosenklappe an Hectors Außenwand. Fehlt nur noch jemand, der sie austauscht…
Bei den Wohnhäusern fällt auf, dass es offenbar strikte Regeln für die richtige Wohnungsdeko gibt: in jedes Fenstergehört eine Lampe (oder eine Blume), und zwar symmetrisch!
Die Küste zieht sich endlos in beide Richtungen, genau so stelle ich mir Urlaub an der Nordsee vor. Auch das Restaurant vom Strandhaus Puur sieht mit seinen Glasfronten einladend aus, aber gegen das Vorzelt von Markus, Thomas & Co. hat es keine Chance. Hector und ich werden langsam immer schwergewichtiger: er von den vielen Sandkörnern, die sich langsam im Inneren ansammeln, und ich von dem kg Garnelen, den Koteletts, den Pommes und den übrigen Köstlichkeiten.

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