Strand. Ewiger, öder, endloser Strand. Schon klar, alle finden es großartig, aber mir fehlt hier in Renesse etwas, das den näheren Umkreis interessant macht. Endloser Horizont nutzt sich in seinem Erlebniswert irgendwie ab, und so brechen Hector und ich auf.
Es ist Samstag, das Wetter heiß und phantastisch und je näher ich an Rotterdam und Amsterdam komme, umso abwechslungsreicher wird die Gegend. In Haarlem erklärt mir TomTom, dass die beste Verbindung mitten durch die Stadt geht, also gibt es auf Höhe des Ducato-Cockpits Sightseeing wie im Touri-Bus. Dummerweise muss ich nebenbei aufpassen, dass mir kein Fußgänger oder Radfahrer in die Quere kommt, gerade Radfahrer sind in Holland ja nicht so selten.
Obwohl die holländischen Ferien erst eine Woche her sind, ist an diesem Samstag am Strand von Zandvoort kein Fitzelchen Stellplatz mehr zu kriegen: sämtliche Campingplätze ersticken in Menschenmassen.
Eigentlich könnten Hector und ich jetzt wildcampen. Oder schauen, ob es nicht Parkplatzbereiche gibt, auf denen man eine Nacht legal stehen darf. Aber erstens habe ich kein Wasser im Tank, was zwischen Bad und Küche die Alltagsdinge erschwert, und zweitens bin ich vor Hitze und Wind zu platt, um so weit zu denken. Also suche ich im ADAC Campingführer nach Alternativen und werde in 25 km Entfernung fündig: In Rijnsburg zeigt die Karte einen Campingplatz mit See, zudem hat der Platz ein Hallen- und ein Freibad. Bei Ankunft zeigt sich, dass der See ein pfützengroßer Bio-Tümpel ist und die Schwimmbäder kindertobende Planschbecken sind. Der Platz selbst ist bestenfalls unspektakulär, aber dank des regen Flugverkehrs von Shiphol fühlt es sich zivilisationsnah an.
Die Enttäuschung lässt mich mit der Weinflasche liebäugeln, die seit Tagen im Bodenfach mitreist, aber dann überwiegt der Tatendrang: in nur 6 km Entfernung liegt der Strand von Nordwijk, das ist locker Klapprad-Entfernung!
Also Rad auseinander falten, Navi mitnehmen und los: vorbei an einem typisch-holländischen Wasserkanal, vorbei an erstaunlichen Sozialbauten und der Menschenmenge folgend bin ich 30 Minuten später in Nordwijk und genieße Sommerhitze mit Meerbad.

Nordwijk
Es gibt edlere Gegenden, möchte ich vermuten, aber ich fühle mich wohl hier und das Meer hat eine entspannende Wirkung auf mich. Besänftigt fahre ich zwei Stunden später zurück zum Campingplatz, ignoriere Hectors Küchenmöglichkeiten und genieße Pommes, Bier und WLAN am Camping-Kiosk.
Am nächsten Morgen freue ich mich, dass heute alle Wochenendgäste von Zandvoort abreisen und mein Navi mich durch eine schmale Alleenstraße zum bisher teuersten Campingplatz meines Lebens führt.
46,- EUR pro Nacht kosten die Plätze in der zusammengewürfelten Dünenlandschaft, inklusive Surfer-Feeling und jeder Menge Wind. Sturm, um genau zu sein.
Am Strand werde ich rundum gründlich paniert, aber das macht nichts: erstens kann ich aus dem Augenwinkel einen lässigen Surfertypen beobachten, und zweitens ist das hier ehrliches Nordseewetter.
Später schlendere ich zu der Reihe an Cafés, Restaurants und Clubs, die sich entlang der Dünen aufreihen. Manche sind hippie-chic, manche folkloristisch bunt und entspannt, manche machen einen auf edel und im schönsten davon, direkt neben dem Hauptzugang vom Riesenparkplatz, kann man herrlich windgeschützt sitzen, entspannen, essen, trinken, lesen und stundenlang aufs Meer schauen.
Am Abend tobt weiterhin so viel Sturm, dass der Bus wackelt und an draußen-Kochen nicht zu denken ist. Wie gut, dass es am Strand ein Asia-Sushi-Restaurant gibt, das zwar von außen hässlich und gewohnt teuer ist, aber dafür im Inneren mit gutem Service und hervorragendem Essen aufwartet.
Den Rückweg schaffe ich gerade noch rechtzeitig vor dem Einsetzen stürmischer Regenschauer und werde kurz darauf vom windgebeutelten Hector in den Schlaf geschaukelt.

…was vom Sommer übrig blieb
Am nächsten Tag hat der Wind nachgelassen und ich freue mich: durch die welligen Dünen kann man prima joggen gehen. Der Nationaalpark Zuid-Kennemerland ist eine willkommene Abwechslung nach der endlosen Strand-Einöde von Renesse.

Zuid-Kennemerland
Das immergleiche Flachland scheint nur noch blasse Erinnerung und außerdem kommt heute Linda! Seit wir uns vor vier Jahren in Thailand begegnet sind treffen wir uns jedes Jahr, und diesmal ist ihre Heimat dran. Als sie am frühen Nachmittag vor mir steht, ist die Freude groß. Nur Frauen können sich vermutlich so unbändig darüber amüsieren, dass sie ohne Absprache im identischen Look auftreten: verwaschene Jeans, Trägertop unter weißem Shirt und lässige Lederband-Kette. Wir kommen uns vor wie das doppelte Lottchen und beglückwünschen uns gegenseitig zu unserem guten Geschmack.
Die nächsten Stunden verbringen wir damit, den Strand entlang zu wandern und uns gegenseitig das letzte Jahr zu erzählen. Sobald ein Regenguss kommt, retten wir uns in eins der vielen Strandcafés und reden und essen und trinken und reden. So über-touristisch Zandvoort sein mag, so gut sind die unzähligen Restaurants und Cafés: sie bieten flächendeckend hervorragendes Essen und eine Vielfalt an stylishen Interiors, so dass wir die wilden Wetterwechsel zum Food-and-Drink-Hopping nutzen.
Am nächsten Tag endet meine Holland-Reise – zumindest für dieses Jahr. Während der Sturm die Surfer vor sich her treibt, unternehmen wir einen letzten Strandspaziergang.
Es ist Ende August und mitten in der Woche und vermutlich ist das die schönste Zeit hier: von Hippie-Flair bis schick, von asiatisch bis gutbürgerlich, von Dünen bis Meer bietet uns die Küste alles, was ein Holland-Urlaub bieten kann. Ich glaube, in einigen Jahren besorge ich mir ein Assimil-Sprachbuch und komme wieder!