NL (2): Das schöne Zierikzee und die öden Strände von Renesse

Hector ist begeistert: heute wird er über das Wasser fahren und unter dem Meer durchtauchen. Nach dem Passieren von Terneuzen (Tunnel, 5,- Maut für 80 km weniger Umweg) und der Halbinsel Zeeland (Brücke, kostenfrei) erhebt sich der Blick auf offenes Meer zur Linken und Binnenmeer zur Rechten.

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In Zierikzee, dem heutigen Etappenziel, lässt die Beschilderung der Parkplätze auf größeren Touristenandrang schließen, aber in diesem Ort kommt keine Hektik auf, egal wie wuselig es zugehen mag. Hector passt problemlos auf einen der zentralen Parkplätze und steht nur ganz wenig vorn und hinten über – das ist uns 1,- EUR pro Stunde wert. Zielstrebig erobere ich einen Tisch im Hinterhof von einem halb-Shop-halb-Café/Restaurant, wo ich im Halbschatten zwischen rankenden Pflanzen und rustikalen Sitzgelegenheiten Platz nehme.

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Nachdem ich in fließendem holländisch ein Glas Munthtee bestelle, gebe ich mich einer entspannten, gleichwohl geduldigen Grundhaltung hin. Immerhin, nach 45 min. Wartezeit habe ich Speis und Trank und ein breites Lächeln im Gesicht: Die Krabbenkroketten mit Brot und Beilagen und die duftende Minze im Teeglas sind Genuss pur, so dass ich dem Versorgungszelt vom Camping Groede nur wenig hinterhertrauern muss.

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Ich verlasse die kulinarische Entdeckung durch den dazugehörigen Laden, widerstehe dem totalen Kaufrausch und trete auf der anderen Seite in eine der typischen schmalen Gassen. Überall gibt es kleine Läden und liebevolle Details zu entdecken und wenn ich den Blick weiter in die Höhe schweifen lasse werde ich neugierig auf den Turm eines Glockenspiels, eine Windmühle und weitere Bauten. Überhaupt, die Glockenspiele: angenehm fürs Ohr, liebliche Melodien und nicht zu aufdringlich – man sollte mal jemanden von Münchens Rathaus-Verantwortlichen herschicken, damit die Bayern von den Holländern a bissl was lernen täten.

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Wie üblich schlendere ich einfach drauf los, sauge die postkarten-kitschigen Sträßchen und Häuser in mich auf und stehe unvermittelt vor einem pseudo-klassizistischem Bau, der wie ein Ufo inmitten der übrigen Architektur thront und obendrein noch leicht schief ist. Es ist der neuere Teil der Kathedrale St. Lievenmonster, von der nur noch der mächtige Turm steht, während der übrige Teil 1832 abbrannte und mit der seltsamen Scheußlichkeit eines Säulentempels wieder aufgebaut wurde.

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Drumherum gibt es moderne Kunstinstallationen und Sitzgelegenheiten aus Euro-Paletten, allerdings springt der Funke nicht recht über. Die Website des Städtchens verspricht interessante Kultur-Events von Independent bis klassisch, aber mich zieht es stattdessen in die übrigen Straßen, an modernen Geschäften in alten Häusern vorbei und hin zu einem großen freien Platz. Einige Restaurants und Cafés bespielen die Seiten und einen Teil der mittleren Fläche, ein großer Teil jedoch ist frei. Oder wäre es, wenn nicht etliche gesponsorten Aufbauten eines Sport-Events den Blick verstellen würden.

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Weiter gen Osten geht der Platz in eine beschauliche Allee über, die auf beiden Seiten von herausgeputzten Kaufmannshäusern gesäumt ist. In einem der Gebäude befindet sich eine Buchhaltungsfirma. Idee für den Hinterkopf: Wenn ich einst in beschaulicher Umgebung schick arbeiten will, schicke ich meine Bewerbung hier hin.

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Inmitten der Häuser und Bäume zieht sich das Wasserbecken des alten Hafens, in dem einige kleinere Boote herumdümpeln. An den Kaimauern lässt sich der meterhohe Tidenhub ablesen, der regelmäßig die Boote höher und tiefer legt.

 

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Der alte Hafen endet mit 2 alten Toren und einer Hängebrücke, an der ich kehrtmache und wieder zurück zum lebhafteren Stadtteil schlendere. Ich passiere die Gasthuiskerk = eine ehemalige Kapelle des alten Elisabeth-Krankenhauses aus dem 14. Jahrhundert und bin kurz darauf wieder inmitten von Geschäften aller Art und Touristen aller Couleur (die Rothäute sind zumeist Briten).

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Endlich finde ich auch das Gebäude, auf dem das melodische Glockenspiel thront: es ist das Stadthuis, eine ehemalige Markthalle aus dem 14. Jahrhundert, und beherbergt heute das Stadtmuseum. Auch die Häuser gegenüber sehen pittoresk aus und später lese ich nach, dass es sich um die älstesten der ganzen Stadt handelt.

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Stadthuis

Nach einem Kaffeestopp entdecke ich auch noch die weithin sichtbare Windmühle, die man allerdings nicht betreten kann – zumindest sieht sie nicht touristisch erschlossen sondern vielmehr privat aus. Macht nichts, das Ambiente mit kleinen Giebelhäusern, Fahrrad und Windmühle ist so sehr „ganz Holland in einem Bild“, dass ich meine Energie lieber in wichtigere Dinge als schnöde Besichtigungen stecke.

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Eine gute Woche später werde ich eine Postkarte mit genau dem gleichen Motiv finden – fast schon unheimlich, aber auf eine gute Art und Weise.

Auf dem Rückweg zum Bus stoppe ich bei einem Metzger und lasse mir in lustigem Sprachgemisch die besten Steaks, Koteletts, Filets und sonstige Finessen für Grill oder Pfanne erklären. Angesichts der gesalzenen Restaurantpreise bin ich immer wieder erstaunt, wie billig dagegen der Kauf der Lebensmittel ausfällt. Ich nehme es hin und meine Tüte entgegen und freue mich, dass mein Bus-Kühlschrank inzwischen in jeder Lebenslage funktionstüchtig ist: mit Batteriestrom während der Fahrt, mit Gas im Niemandsland und mit Landstrom am Campingplatz.

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Heute ist der Weg nicht mehr weit, denn wo alle Touris hinrennen muss es schließlich am schönsten sein, und so fahre ich zum Strand von Renesse. Und weil es hier so toll sein soll, ist der erste Campingplatz auch prompt ausgebucht. Zum Glück gibt es nicht nur einen, sondern 3 oder 4 oder 5 und schon der nächste, der einladend genug aussieht, hat freie Plätze einerseits und nur 100m zum Strand andererseits.

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Gasthuiskerk Zierikzee

Nach dem pittoresken Städtchen Zierikzee wirkt der absurd breite Strand von Renesse leer und trostlos. Wobei leer nicht ganz stimmt: Touristen gibt es in ausreichender Menge, aber ansonsten gibt es nicht viel, woran das Auge sich weiden kann: beige-farbener Sand in 3 Himmelsrichtungen, umrahmt von sanft ansteigenden Deichen. In der 3. Richtung erstreckt sich Wasser bis zum Horizont und der Gesamteindruck ist: flach. Wie ein zweidimensionales Bild, das überwiegend in beige und blass-grauen Blautönen gehalten ist. So richtig will der Funke nicht überspringen, aber für eine Nacht zwischen netten Nachbarn und mit Aussicht auf die Steak-Luxusmahlzeit im sonnigen Gras geht das in Ordnung.

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Strand, endloser

Überhaupt, die Campingplätze der Niederlande: akkurat gemähte Rasenflächen, die täglich (!) gemäht werden. Alles ist in Reih und Glied unterteilt und schafft es selten, seinen spießbürgerlichen Charme abzuwerfen. Es gilt: je akkurater die rechtwinklige Rasenfläche, desto 80er die Waschräume. Aber selbst in der Hauptsaison kommt man immer irgendwo unter, denn Camping ist im Land der gelben Nummernschilder ein flächendeckendes Phänomen, mit allen Vorteilen.

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Am nächsten Morgen folge ich mit Campingstuhl und Kaffeebecher den Strahlen der Morgensonne und breche bald auf, um nördlich von Amsterdam die berühmten Strände von Zandvoort zu erobern. Das könnte richtig nett werden, mit Hippie-Tanz am Strand, Sandkörnern an Bierdosen und Erholung mit Flair. Könnte…

3 thoughts on “NL (2): Das schöne Zierikzee und die öden Strände von Renesse

  1. Ach, mein Gefährt st nix dolles, nur ein selbst ausgebauter Renault Kangoo den ich sehr liebe. 😉 Ich habe alles mit was ich brauche: bequemes Bett, Kompressorkühlbox; Spirituskocher usw. und als Luxus eine handbetriebene Kaffeemühle. Hihi.
    Nur eine eigene Dusche und WC oder auch eine Heizung vermiss ich manchmal. Aber hat es doch sehr viele Vorteile mit so einem Kleinteil unterwegs zu sein: Parkplatzfindung, das Befahren von Single-Track Roads, geringere Kosten für die Fähre und sparsamer Spritverbrauch … macht schon Laune, das Gesamtpaket.
    Mich zieht es bisher hauptsächlich nach Großbritannien, ansonsten war ich mal an der Ostsee, also eher eintönig – für mich aber abwechslungsreich genug, die Insel hat wirklich viel zu bieten.
    Trotzdem stehen aber auch andere Länder auf meiner Liste, u.a. Frankreich und Skandinavien. Hoffe ja dass ich noch viele Jahre habe, um mir alles ansehen zu können was ich möchte. 🙂

    Stimmt, dachte gestern noch, dass es eigentlich gutes Campingwetter wäre …. irgendwie spooky um diese Jahreszeit …
    LG
    TIna

  2. Oh, du hast einen eigenen Mini-Camper? Da bin ich jetzt neugierig (was ist es denn? Und wo warst du schon überall??)
    Finde ich großartig, und vielen Dank auch für den netten Kommentar 🙂 Die aktuellen Weihnachtstemperaturen sind ja eigentlich campertauglich… Dir auch schöne Feiertage und einen guten Start in das neue Jahr! LG, Britta

  3. Hallo Britta,
    ich les hier eigentlich nur still und leise mit, möchte heute aber mal einen Gruß da lassen.
    Deine Berichte mag ich immer gerne lesen, da kommt gleich so eine tolle Urlaubsstimmung rüber und ich kriege jedes mal große Lust, meinen eigenen Mini-Camper zu beladen und los zu tuckern. 🙂

    Schöne Weihnachten und alles Gute sowie viele schöne Reisen im neuen Jahr!
    Liebe Grüße
    Tina

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