Schön, wenn im Umkreis von 1,5 Stunden die Berge, viele Seen und unzählige Campingmöglichkeiten locken. Da lohnen auch kleine Fluchten aus dem Alltag, schließlich ist Hector schon ganz ungeduldig und will wieder auf Tour. Also klingelt Samstags beizeiten der Wecker und um halb acht reihen wir uns ein in den Ferienverkehr Richtung Süden.
Der Irschenberg an der A8 ist der beste Stautest der Gegend: wenn es hier locker rollt, bin ich noch vor der großen Anreisewelle der nördlichen Bundesländer. Stress raus, Blinker rechts, 3. links und schon parkt der Bus souverän vor’m Dinzler. Kaffeerösterei, Frühstück und ideale Einkehr zwischen Wohnung und Ausflugsziel. Frisch gestärkt geht es weiter und schon 46 km weiter lasse ich die Inntal-Autobahn hinter mir und folge gewundenen Straßen bis zum Walchsee.
Der Terrassencamping Südsee lockt mit Seeblick von allen Stellplätzen und bietet selbst zur Hauptsaison genug Platz für einen schlanken 5,6m-Fiat. Wenn sie das Distelmeer zwischen den Schotterkieseln gelegentlich mähen würden, wäre der Campingplatz sogar richtig empfehlenswert – so wie es ist finde ich zwar alle freundlich und manche Plätze sind ganz hübsch, aber der Gesamteindruck bleibt ein wenig lieblos.
Egal, wer liebevoll kuscheln will, kann sich am Seeufer – vulgo: „campingplatzeigener Badestrand“ – mit den watschelnden Enten anfreunden, die heute gern die Zeitung mit mir teilen wollen. Der See schimmert einladend grün, ist vollständig in Privatbesitz und streng reglementiert: maximal eine gefühlte Handvoll Boote (Schlauchboote, Ruderboote, Elektroboote, Fischerboote) sowie das einzige Wasserskiboot des Sees dürfen gleichzeitig unterwegs sein, jeder Paddler muss daher einen Derfschein (hessisch für „Erlaubnis“) mitführen. Zum Baden ist das prima, weil man weit rausschwimmen kann, ohne um seinen Kopf zu fürchten. Ich liebe das Bergpanorama rund um die Alpenseen, das umso schöner ist, wenn man sich ein paar (hundert) Meter vom Ufer entfernt. Auf den Rücken legen und staunend die Berge betrachten, dann wassertretend die alte Schwimmbrille auf die Augen quetschen und lässig zurück ans Ufer kraulen – klappt inzwischen immer besser.
Der fabelhafte Sommer 2015 ist auch in den Bergen voll präsent: 31°C zeigt das Thermometer im Dorf, so dass ich eine bergauf-MTB-Tour auf den nächsten Morgen verschiebe und statt dessen rund um den See die Gegend erkunde – natürlich inklusive der angebotenen Eisbecher und Restaurant-Angebote.
Zwei Umrundungen später, die an 4 Strandbädern, 2 Campingplätzen und 1 Zeltwiese vorbei führen, springe ich zum zweiten Mal in die schimmernde Wasserfläche. Am Abend trägt mich mein Fahrrad in 5 Minuten durch saftige Bergwiesen zum Restaurant „Essbaum“, wo ich unbedingt die gebratene Forelle empfehlen kann.
Rechtzeitig vor dem aufziehenden Gewitter bin ich zurück am Campingplatz und freue ich: beide Dachluken waren sperrangelweit offen; als Blondine muss man eben auch mal Glück haben!
Inmitten des Spießertums, wie es nur Dauercamper und ihre Gartenzwerge vermitteln können, gibt es nur zwei Dinge, die man abends tun kann:
- mit den Dauercamper-Nachbarn anfreunden und bei Prosecco und viel zu vielen Zigaretten fürchterlich versumpfen.
oder - früh schlafen gehen.
Auch wenn die Jungs mit der Konditorcreme um die Hüften wirklich nett sind und wahnsinnig hilfsbereit (was ich kurz vor der Abreise noch feststellen darf), entscheide ich mich für die 2. Variante.
Und so gelingt das Kunststück, mit dem ersten Hahnenschrei erholt aufzuwachen und auf dem Weg zum Zähneputzen den Sonnenaufgang über dem See zu genießen. Völlig stressfrei gibt es Kaffee und Seeblick und ein Grundlagen-Frühstück und um 8.00 sitze ich im Sattel und rede mir ein, dass es noch morgendlich kühl ist.
Der Rundweg um und über die Berge führt nach den ersten 1-2 km in den schattigen Wald und wenn es nicht so penetrant bergauf ginge, könnte ich die Sommerfrische rundum genießen. Statt dessen fühle ich mich angesichts der Geräuschkulisse (Schnaufen) und des Wasserverbrauchs (leichte Transpiration) wie eine Dampflok, aber ich hab es ja so gewollt.
Nach einigen Höhenmetern höre ich, wie von hinten beschwingt und doppelt so schnell ein anderer Radler ankommt und wir unterhalten uns kurz. Dezente Notiz im Hinterkopf abheften: wenn ich jemals wieder auf Männersuche gehe, dann mache ich das im Wald! Der Radler ist nämlich eindeutig sympathisch und nebenbei sportlich und so freue ich mich über die kurze Begegnung. Getoppt wird er allerdings vom nächsten vorbeikommenden Radler, der so aussieht, als wären 600 Höhenmeter sein morgendliches Warmup. Danach ist zum Glück Ruhe, auch wenn ich irritiert feststellen muss, dass der Anstrengungsgrad nicht am Fahrrad liegt – der Supersportler hat nämlich das gleiche Rad hat wie ich. Nur dass seins irgendwie schneller fährt…

Diese angenehm flachen Wege habe ich aus unerfindlichen Gründen NICHT genommen. Wohl deshalb, weil sie in die falsche Richtung führen.
Sobald erste Aussichtspunkte entlang des Weges kommen weiß ich wieder, warum ich das hier mache: weil die Bergkulisse von hier oben am schönsten ist! Und weil ich stolz bin einen Punkt hoch oben erreicht zu haben, den ich mir von unten gar nicht vorstellen konnte – und doch bin ich hier.
Der Walchsee schimmert grün, die Sonne schickt diesige Strahlen quer in die Landschaft und die Kühe betrachten interessiert meine Mühen, als ich kurz darauf das Fahrrrad über ein winziges Drehkreuz inmitten von Weide-Stacheldraht-Zäunen hebe, was auch fast kratzerfrei gelingt. Zum Glück ist das einzige nicht-fahrbare Stück nur kurz und danach werde ich mit einer langen Abfahrt belohnt.
Leider ist es noch zu früh für ein Mittagessen beim Essbaum, also fahre ich statt dessen erst mal zurück zum Campingplatz, wo ich spontan rechts abbiege, alle Sachen (Fahrrad, Rucksack, Helm, …) ins Gras werfe und mich umgehend in den See werfe. Was für eine Wohltat!!!
Die nächsten Stunden sind geprägt von Kaffee, Obst, Schnitzel, See, Liegewiese, See, Buch, See. Als es auf halb vier zugeht, lasse ich das milde, grün schimmernde Wasser hinter mir und fange an, die Lager abzubrechen. Perfektes Timing, denke ich, als erstes Donnergrollen ein kleines Gewitter ankündigt. Jetzt noch schnell das Fahrrad in den Bus und die Fenster zu und… und die Fenster zu?!
Etwas hilflos stehe ich am Sofa-Fenster und stelle fest, dass die Mechanik mich auslacht. Das Fenster lässt sich mühelos sperrangelweit öffnen, aber die Gegenrichtung will partout nicht so wie ich will. Jetzt kommen die freundlichen Dauercamper ins Spiel: sie saßen zwar schon im Auto und wollten gerade losfahren, aber binnen Sekunden steht einer der Jungs neben mir, fragt freundlich nach einem Schraubenzieher und montiert kurzerhand den störrischen Aufstellbügel ab. Später zu Hause werde ich feststellen, dass eine Stecknadel und viel Gefühl auch helfen, aber für die schnelle Lösung, die mir einen regenfesten und abfahrbereiten Bus beschert, bin ich den Jungs echt dankbar!