Der Burj Khalifa ist mit seinen 828 m Höhe das Highlight der Stadt und der Welt. Auch wenn die Aussichtsplattform nur im 124. Stock liegt ist die Perspektive geradezu ernüchternd: Wie unfertig Dubai doch ist, und wie sinnlos in dieser Weitläufigkeit die Skyscraper wirken. Gerade die Gegend, die als „Downtown“ bekannt ist, kann kaum als Stadt bezeichnet werden, sondern eher als verstreute Ansammlung einzelner Hochhäuser, die einzeln zwischen Autobahnen und Baustellensand aufgestellt wurden. Ohne Verbindung, ohne echtes Stadtleben.
Am Horizont sieht man im Dunst die Welt im Meer versinken. Eigentlich lässt sich gar nicht so genau sagen, ob sie sich gerade aus dem Meer erhebt oder darin unter geht, das Projekt der künstlichen Inseln in Welt-Form ist in den letzten Jahren ins Stocken geraten. An der Antarktis wird kräftig gebuddelt und Sand aufgeschüttet und auch von der Arktis sind die Ränder stabil befestigt, aber nur drei der Inseln sind bisher bebaut und die Zukunft der Sandhäufchen ungewiss.
Wenn ich Scheich wär, würde ich auch lieber in die schicken Hochhäuser von Downtown investieren als in Sandburgen im Meer. Und wer kam eigentlich auf glorreiche Idee, ein auf Sand gebautes Traumschloss ausgerechnet „Atlantis“ zu nennen?? Ich nenn‘ doch eine Yacht nicht ausgerechnet „Titanic“…?! Naja, hoffen wir das Beste.
Bevor wir zu den Yachten kommen, brauchen wir erst mal eine Stärkung. Mit glücklichem Händchen sitzen wir vor der Dubai Mall im Schatten und genießen Fisch und Gemüse, als unerwartet die berühmten Wasserspiele mit Musikbegleitung im künstlichen See beginnen. Sonst nur abends und völlig überlaufen, erleben wir einen Testlauf des Spektakels (fast) direkt vor unseren Augen und ohne Anstehen, Drängeln oder Terminplan. So viel sich die Emirati in Disneyland abgeschaut haben, so gut sind sie (meistens) in der Umsetzung: Rund um die Dubai Mall wird das an allen Ecken sicht- und hörbar, von den multimedia-Hightech-Aufzügen des Burj Khalifa bis zur Inszenierung mit klassischer Musik, die das Wasserspektakel untermalt.
Danach geht es beschwingt zur Metro, auch wenn unser Schwung im Lauf der Strecke deutlich abnimmt. Optimisten laufen in den ersten Teilstücken noch aus eigener Kraft zwischen den Laufbändern, aber nur wenige km weiter werden die ersten erschöpft zurück bleiben. Nicht allein, dass die Dubai Mall 1.124.000 m² Fläche hat, die erst mal durchschritten werden will, darüber hinaus liegt die Metro-Station gefühlt in einem anderen Stadtteil. Immerhin ist die Gangway klimatisiert und bietet schöne Ausblicke auf das umgebende Stadtbild, aber die 800 m Entfernung, die Wikipedia aufruft, hat vor uns offensichtlich noch keiner nachgemessen. Zum Glück sind wir jung und sportlich und schön und sitzen geraume Zeit später endlich in der blitzsauberen Metro, um quer durch die Stadt bis zur Marina zu rollen.
Marina ist eine Offenbarung, mit der ich nicht gerechnet habe: das Leben hier ist bunt gemischt, die Hochhäuser stehen fast so dicht wie die Yachten in ihren Anlegeplätzen liegen, es ist immer belebt und die Promenade ausgestattet mit etlichen Cafés, Restaurants und Geschäften. Jogger laufen durch Weihnachtspalmen und die ständig verstopften Straßen spielen keine Rolle mehr, wenn man erst die ruhigen Wasserarme erreicht hat. Auch die verhältnismäßig kleine Marina Mall gefällt, da es hier weitaus ruhiger zugeht als in den wuseligen Malls zwischen Downtown und Jumeira.
Zwei Abende in Folge genießen wir internationales Essen im Yachthafen und sehen dabei Clowns (fade) und Breakdancern (muskulös) zu, die beim Streetlife Festival genau vor unserer Nase auftreten.
M und ich legen noch einen weiteren Touri-Tag ein und besteigen am nächsten Morgen die Ferry, die von Marina aus entlang der Küste bis nach Bur Dubai / Deira fährt.
Die Beschreibung von Bur Dubai liest sich im Lonely Planet verlockend, es ist die Rede von günstigeren Hotels, kleinen Restaurants aus aller Herren Länder, indischen Einflüssen und alten Stadtteilen. Ganz so anheimelnd ist es bei Lichte betrachtet dann doch nicht, zumal das (künstlich wieder aufgebaute) Heritage & Diving Village um die Mittagszeit geschlossen hat, so dass wir es für heute mit der Betrachtung von außen gut sein lassen.
Durch quirligen Verkehr, aufkommende Hitze und ungewohnt verschmutzte Straßen zieht es uns nach Bastakiya, wo in historischen Gebäuden zeitgenössische Galerien und kleine Kunsthandwerk-Läden angepriesen werden.
Das Viertel strahlt wohltuende Ruhe aus und die engen Gassen zwischen den Lehm-Korallen-Gebäuden werfen kühlende Schatten als wir hindurch schlendern. Es gibt keinen großen „Wow!“-Effekt, aber immer wieder kunstvolle Details zu entdecken.
Ich liebe ja augenzwinkernde, zeitgenössische Kunst. Da darf auch der schöne alte Innenhof des XVA Art Cafés in Plastikfolie mit Blümchen verpackt werden, auch der pink gefärbte Bart des irakischen Künstlers hat was, nur die restlichen Bilder, kopfüber hängende Puppen und kriegerische Geräusch-Installationen wirken leicht verstörend. Egal, M hat alles im Griff und thront königlich inmitten von Kunst und Historie, zeitlos geradezu.
Als nächstes entern wir eines der Abras (Wassertaxi) und setzen für 1 Dirham = 20 €-cent über auf die andere Seite des Creek. In der Luft hängen die Abgase der Abras und Dhaus (alter Segelschifftyp, ergänzt um stinkende Motoren), aber irgendwie passt das in das wuselige Viertel. Die Dhaus wirken altertümlich, werden aber auch heute noch eifrig genutzt, um Waren aus aller Welt anzulanden, umzusortieren und weiter zu verteilen.
Etwas mühsam suchen wir uns den Weg zum Gold Souk: eine überdachte Ladenstraße mit Schmuckläden rechts und links und angeblich den besten Goldpreisen der Welt. Das Angebot wirkt erschlagend und zum Glück strahlen wir auch schmucklos genug, ohne dass wir mit Armreifen oder Klunkerringen nachhelfen müssten.
Wenn man sich auskennt, ist es vom größten Goldring der Welt nur einmal-rechts und einmal-links und schon öffnen sich die engeren Gassen des Old Spice Souk mit getrockneten Limetten, Safran, Nüssen und Tee in riesigen Säcken. Wenn man sich nicht auskennt, landet man vorher im Haushaltswaren-Souk, im Matratzen-Souk, Textil-Souk und diversen Kleingeräte-Läden… Nebenbei gelernt: in diesem Land mindestens 3x nach dem Weg fragen, damit sich unter den verschiedenen Antworten zumindest eine Tendenz für die einzuschlagende Richtung ergibt. Bevor hier jemand zugibt, etwas nicht zu wissen, wird lieber in’s Blaue hinein geantwortet, daran müssen wir uns erst noch gewöhnen.
Die Märkte wären eigentlich ganz schön, wenn die Händler etwas zurückhaltender wären. Wir sind froh und stolz, die „alten“ Souks gefunden zu haben und wissen das Angebot an sich auch zu schätzen. Dennoch sind die Märkte in anderen Teilen der Welt vielfältiger und wirken irgendwie echter. Hier lässt sich das Gefühl nie ganz abschütteln, durch eine Touristenkulisse zu laufen.
Bevor wir der Marktschreier überdrüssig werden erstehe ich mit Ms Hilfe noch zwei Pashmina-Schals, die für die erste Zeit tatsächlich aus 100% Kaschmir zu sein scheinen. Gern würden wir noch nach luftigen Tunikas stöbern und farbenfrohe Seidenstoffe bewundern, aber die beständige Abwehr diensteifriger Verkäufer zusammen mit der sommerlichen Hitze ist inzwischen zu viel. Als Gegenpol tauchen wir ein in die klimatisierte Reinraum-Welt der Metro, die uns günstig quer durch die Stadt trägt.
Eine Woche ist schnell verflogen. Wie bei jedem schönen Urlaub fallen mir am Abreisetag noch hundert Dinge ein, die ich tun und sehen könnte: Ausflug nach Abu Dhabi, Besuch der Museen und Heritage Villages, Quad-Fahren in der Wüste, Kamelritt, Oasenbesuch, Frühstück mit Einheimischen im kulturellen Austausch, Hotel-Aussichtsbars undundund.
Ich hebe es mir auf für spätere Besuche und genieße stattdessen einen Vormittag am Pool, bevor mich ein belehrender Taxifahrer zum Flughafen bringt. Die halbe Fahrt hindurch hält er mir Vorträge über sein klar nach schwarz und weiß eingeteiltes Weltbild: die gute = arabische Kultur einerseits und die englisch-sprachige = alkoholisierte und somit böse Kultur andererseits. Am meisten daran begeistert mich mein Durchhaltevermögen, mit dem ich zurückhaltend schweige.
Die Ausreise aus diesem widersprüchlichen Land spiegelt meine Einreise 1:1 wider: nachdem der barsche Mensch am Einreiseschalter vor einer Woche meinen Pass nicht mit dem passenden Einreisestempel versehen hat, fehlt mir die Grundlage für die Ausreise. Immerhin sind heute sämtliche Beamte (vor allem die in den Dishdasha, weniger die in Uniform) freundlich und gelassen, während sie mich vom Kotroll-Schalter zum 3. Büro rechts und vorn dort zum nächsten Kontrollschalter und zu einem weiteren Passkontrolleur und wieder zum Schalter schicken. Schließlich erhalte ich einen bedeutsamen Stempel auf mein Flugticket und darf weiter.
Der Heimflug ist wie der Hinflug, nur besser: der Sitzplatz bequemer, das Essen aromatischer und die Aussicht noch schöner.
Über dem vorderen Orient (oder wo auch immer wir gerade sind) ist der Blick über weitgestreckte Bergketten mit Schnee, einzelne Seen und dünne Besiedelung fantastisch und ich komme kaum dazu mich mit meinem Buch, dem Filmprogramm und den Postkarten auseinander zu setzen. Einige Stunden später ist der Urlaub offiziell vorbei, wie unschwer an den schneebedeckten Wiesen des kalten Münchner Flughafens zu erkennen ist.